Welche Rolle dabei ein Kampfjet, ein Soziologe und eine Gruppe Softwareentwickler spielen.
Agilität ist kein gänzlich neues Thema, denn der Begriff existiert bereits seit knapp 70 Jahren und tauchte seither schon in vielen Facetten und Abwandlungen auf. Seit Beginn der Digitalisierung ist das Konzept der Agilität immer bedeutsamer und aktueller geworden, weshalb der Begriff aus der modernen Arbeitswelt kaum noch wegzudenken ist.
Der Ursprung und die Entstehung der Agilität werden in der Literatur auf unterschiedliche Ereignisse zurückgeführt. Es ist letztlich nicht vollständig zu klären, welches Ereignis der Ursprung ist bzw. welches Ereignis das bedeutendste ist. Vermutlich haben alle Ereignisse ihren Beitrag zur Entstehung der Agilität geleistet.
All dies erfahren Sie in diesem Blogbeitrag:
Die Geschichte der Agilität im Überblick
Die Geschichte der Agilität vollzog sich in verschiedenen Etappen, die Sie hier zunächst überblicksartig dargestellt sehen können:
1943: Kampfjet P80 - das mutmaßlich erste agile Projekt
1951: Talcott Parsons - Social Systems wird veröffentlicht
1950er: IID wird von der NASA und IBM eingesetzt
1978-90: Forschungsfortschritte zum organisationalen Lernen
1990er: Bericht des lacocca Instituts und verstärkte Forschungsaktivitäten
2001: das agile Manifest wird veröffentlicht
Gegenwart: agiles Arbeiten gewinnt an Relevanz und differenziert sich weiter aus
1943 - Die Entwicklung des Kampfjet P80
Der Konstrukteur Kelly Johnson, angestellt im amerikanischen Rüstungsunternehmens "Lockheed Martin", erhält den scheinbar unmöglichen Auftrag einen neuen Kampfjet innerhalb von 180 Tagen zu entwickeln. Er ließ dafür alle notwendigen Ingenieure selbstorganisiert in einem Zelt zusammenarbeiten und brachte diese in Kontakt mit den Nutzern der Kampfjets. Bürokratische Störungen wurden bei der Entwicklung vermieden. Das Ergebnis: Der P80 wurde nach 143 Tagen fertiggestellt. Der Kampfjet ist vermutlich das erste bekannte Projekt mit einer agilen Vorgehensweise.
„Das Neue an der Agilität liegt darin, dass die gemeinsame Suche nach Lösungen und die kollektive Intelligenz im Vordergrund stehen." (Horst Wildemann, 2018)
1951 Talcott Parsons – The Social Systems
Oft wird Talcott Parsons als Ursprung des Konzeptes der Agilität referenziert.
Der amerikanische Soziologe verfasst in seinem Buch "The social system" (1951) bereits wesentliche Themen einer agilen Organisation: So zum Beispiel die Anpassung an die Umwelt, das Überleben und Sterben von Unternehmen sowie die Integration verschiedener Interessengruppen.Dabei kam Parsons unter anderem zu der Erkenntnis, dass die Anpassungsfähigkeit eine essenzielle Eigenschaft einer Organisation ist.
Parsons hat vier Anforderungen erkannt, die jedes System oder Unternehmen erfüllen muss, um erfolgreich und stabil zu existieren. Konkret spricht Parsons von folgenden Kriterien:
Ein System muss dazu in der Lage sein:
1. auf äußere Bedingungen zu reagieren (Adaption);
2. Ziele zu definieren und zu verfolgen (Goal Attainment);
3. Zusammenhalt herzustellen und zu gewähren (Integration) und
4. grundlegende Strukturen aufrechtzuerhalten (Latency).
Nimmt man die Anfangsbuchstaben der englischen Begriffe und führt sie zusammen, so erhält man das sogenannte AGIL-Schema. Im Laufe der Zeit hat sich das AGIL-Schema weiterentwickelt und an moderne Anforderungen angepasst. Gegenwärtig gewinnt das Thema Agilität im Zuge der Diskussion um die Industrie 4.0 wieder mehr an Aktualität und Gehör.
Incremental Iterative Development (IID)
Die NASA und IBM sind die ersten großen Unternehmen, die iterative und inkrementelle Vorgehensweisen anwenden. Die Merkmale des "incremental integrative development": iterative Teamarbeit, anschließende Reviewphasen und Änderungsnotwendigkeiten bestimmen – weisen eine große Ähnlichkeit zu Scrum auf.
In den 1950er Jahren wendeten amerikanische Militär- und NACA-gesponserte Projekte IID-Prinzipien an, wie im Titan-Programm, um eine interkontinentale ballistische Rakete mit doppeltem Verwendungszweck und ein bemanntes Weltraumstartsystem zu entwickeln.
IDD-Praktiken (incremental iterative development) wurden auch als ein wichtiger Faktor für den Erfolg mehrerer Projekte anerkannt, die die Grenzen der Luftfahrt überschritten, wie das 1959 abgeschlossene X-15-Projekt.
Die Grumman Aerospace Corporation gilt als Early Adopter von Ansätzen, die üblicherweise mit "modernen" agilen Methoden in Verbindung gebracht werden, wie zum Beispiel die visuelle Darstellung von Echtzeit-Statusinformationen in ihrem Aktionszentrum, um Transparenz und Entscheidungsfindung zu erleichtern.
Die Parteien aktualisieren ihren Status täglich vor den sogenannten "Stand-Up"-Meetings, um einen schnellen Reaktionsmechanismus bereitzustellen und so eine schnellere Kommunikation und effektivere Entscheidungsfindung zu ermöglichen.
1978 – 1990 Organisationales Lernen
Chris Argyris und Donald Schön veröffentlichten 1978 das Buch „Organizational Learning“ (vgl. Argyris, C./ Schön, D. A. 1978). Dieses Buch war über die Forschung hinaus wenig bekannt. Allerdings diente es als Basis für das 1990 erschienene Buch „The Fifth Discipline – The Art and Practice of the Learning Organizations“ von Peter M. Senge.
Diese Bücher setzten erste wichtige Meilensteine in der Forschung zum organisationalen Lernen. Im Hinblick auf die Agilität ist das wichtig, daher die Kernmerkmale der lernenden Organisation auch in agilen Organisationen zu finden sind.
„Agilität ist eine Führungsdisziplin. Es geht darum, Gruppen von Menschen im Unternehmen zu befähigen, gemeinsam, selbständig und frühzeitig die Notwendigkeit für einen Richtungswechsel zu erkennen." einzelne Mitglied. Die Stärke eines jeden Mitglieds ist das Team." (Horst Wildemann, 2018)
Agilität gerät stärker in den Fokus von Forschungsaktivitäten
Ab den frühen 1990er Jahren sind zahlreiche Forschungen zum Thema Agilität erschienen.
Förster und Wendler führen dies auf den 1991 erschienen Bericht des Iacocca Instituts der Lehig University zurück (vgl. Förster, K./ Wendler, R. 2012: S. 1). Der Bericht namens „21st Century Manufacturing Enterprise Strategy“ wurde von Nagel und Dove verfasst. Darin gingen die Autoren intensiv auf die Unternehmensvision und die Agilität ein (Nagel, R. N./ Dove, R. 1991). Nach der Veröffentlichung löste diese Arbeit weitere Forschungsaktivitäten aus. Erforscht wurden z.B. multi–funktionale Teams und schnelle Produktentwicklungen (vgl. Häusling, A. 2018: S. 30).
Das agile Manifest
Einer der wichtigsten Meilensteine der Agilität wurde im Februar 2001 in Utah gelegt. Als 17 Softwareentwickler zusammenkamen um die Methoden der Softwareentwicklung zu besprechen, entstand das agile Manifest. Der Anspruch der Fachleute war:
„We are uncovering better ways of developing software by doing it and helping others do it. Through this work we have come to value:“
Das agile Manifest beschreibt die Werte und Prinzipien der agilen Softwareentwicklung. Und ist eine Art Rahmenwerk für Softwareentwickler, die agil entwickeln und von den Vorteilen der Agilität profitieren möchten.
Die Werte im Agilen Manifest
Folgende vier Werte definiert das Agile Manifest:
Individuen und Interaktionen sind wichtiger als Prozesse und Werkzeuge.
Funktionierende Software ist wichtiger als eine umfassende Dokumentation.
Zusammenarbeit mit dem Kunden ist wichtiger als die Vertragsverhandlung.
Reagieren auf Veränderung ist wichtiger als das Befolgen eines Plans.
In der Praxis der agilen Softwareentwicklung gibt es immer wieder Diskussionen über diese Werte. Auch wenn die Autoren bei der Veröffentlichung des Agilen Manifest erläuterten, dass sie die Dinge auf der rechten Seite wichtig finden, schätzen sie die Aspekte auf der linken Seite höher ein. Damit sagen die Autoren aber nicht, dass es in der agilen Softwareentwicklung keine Dokumentation geben soll oder darf, sondern lediglich, dass funktionierende Software im Verhältnis natürlich wichtiger ist.
PS: Hier geht es um die Werte der agilen Entwicklung, die nicht mit den agilen Werte der Zusammenarbeit verwechselt werden sollten. Diese beziehen sich auf das Miteinander im Team. HIER können Sie meinen Blogbeitrag zum Thema agile Werte lesen.
Die Prinzipien im Agilen Manifest
Neben den Werten definiert das Manifest auch 12 Prinzipien der agilen Softwareentwicklung (hier nachfolgend frei ins Deutsche übersetzt):
Die höchste Priorität ist es, Kunden durch eine frühe und kontinuierliche Auslieferung von wertvoller Software zufrieden zu stellen.
Anforderungsänderungen – auch spät in der Entwicklung – sind willkommen. Agile Prozesse nutzen Veränderungen zum Wettbewerbsvorteil des Kunden.
Die Lieferung von funktionierender Software sollte in regelmäßigen, idealerweise kurzen Zeitspannen von wenige Wochen oder Monaten erfolgen.
Fachexperten und Entwicklern müssen kontinuierlich – also täglich – zusammenarbeiten.
Motivierte Individuen muss Vertrauen entgegen gebracht werden. Sie sollen mit einem Umfeld unterstützt werden, das sie für ihre Projekte benötigen.
Die Kommunikation von außen und innerhalb des Entwicklungsteams soll nach Möglichkeit im Gespräch von Angesicht zu Angesicht erfolgen. Das ist die effizienteste und effektivste Methode.
Als wichtigstes Fortschrittsmaß gilt die Funktionsfähigkeit der Software.
Durch ein gleichmäßiges Tempo, das Auftraggeber, Entwickler und Benutzer über einen unbegrenzten Zeitraum halten können, wird eine nachhaltige Entwicklung gefördert.
Das Augenmerk sollt ständig auf technische Exzellenz und gutes Design gerichtet sein.
Einfachheit ist essenziell. (An anderer Stelle – nicht im Agilen Manifest – wird dies auch als KISS-Prinzip bezeichnet.)
Die Selbstorganisation der Teams bei Planung und Umsetzung führt zu den besten Anforderungen, Entwürfen und Architekturen.
In regelmäßigen Abständen reflektiert das Team, wie es effektiver werden kann und adaptiert sein Verhalten.
In der Literatur herrscht Einigkeit über die große Bedeutung dieses Ereignisses für die Agilität. So
nennt Nowotny das agile Manifest den "agilen Urknall" (Nowotny, V. 2016: S. 24).
Der Begriff Agilität in der Gegenwart
Agile Manufacturing: Seit den 90er-Jahren des letzten Jahrhunderts taucht das Konzept in veränderter Form unter „agile Manufacturing“ wieder auf. Im Fokus stehen die schnelle Produktentwicklung (Simultaneous Engineering), multi-funktionale Teams und die ständige Optimierung der Produktionsabläufe während des Prozesses. Durch die aktuellen Diskussionen um Industrie 4.0 erfährt die agile Produktion eine weitere und tiefergehende Befassung mit dem Thema.
Agile Softwareentwicklung: Schließlich findet sich Agilität seit Beginn des 21. Jahrhunderts unter der Überschrift der agilen Softwareentwicklung und verstärkt durch Methoden wie „Scrum“ wieder. Dabei gibt es mit der Formulierung des sogenannten „agilen Manifests in der Softwareentwicklung“ eine Art Handlungsorientierung, nach welchen Prinzipien die Entwicklung von Software gestaltet sein sollte, damit sie als agil zu bezeichnen ist und die damit postulierten Vorteile tatsächlich zum Tragen kommen.
Die agile Organisation: Die aktuellen Megatrends in der Arbeitswelt bringen ganz neue Herausforderungen mit sich, bei denen das jahrzehntealte Konzept der Agilität eine Renaissance erfährt und einen praktischen Nutzen bieten kann. Neu ist dabei, dass aktuell viele Unternehmen das Thema der Agilität nicht auf einen Teil ihrer Organisation, sei es die Produktion oder die (Software-)Entwicklung beschränken, sondern eher Fragen wie die Transformation von Unternehmensbereichen oder sogar ganzen Unternehmen in Richtung Agilität im Fokus stehen.
In den letzten Jahren sind die Veröffentlichungen zum Thema agile Managementkonzepte stark gestiegen. Agile Methoden erfreuen sich zunehmender Beliebtheit und differenzieren sich auch weiter aus.Außerdem schwappt das agile Arbeiten immer mehr über – von einzelnen Projekten auf gesamte Organisationen. Ein bekanntes Beispiel dafür ist das Scaled Agile Framework.
Inzwischen liegen auch erste quantitative Studien zur Verbreitung und Ausgestaltung von agilen Methoden und Praktiken in Unternehmen in Deutschland vor. Notwendigerweise können diese Befragungen jedoch nur schwer eruieren, welche Konzepte und begriffliche (Vor-)Verständnisse von Agilität oder agilen Methoden die Befragten überhaupt zugrunde legen. Daher hat das Institut für Personalforschung (IfP) an der Hochschule Pforzheim eine explorativ angelegte qualitative Studie durchgeführt. Mehr zu dieser Studie lesen Sie im Beitrag: "Was ist Agilität und welche Vorteile bringt eine agile Organisation?"
Literatur:
Fischer 2016: Definition: Agilität als höchste Form der Anpassungsfähigkeit; Haufe.de
Häusling, A. 2018: Agile Organisationen, 1. Auflage, Haufe Gruppe Freiburg, München, Stuttgart 2018.
Nowotny, V. 2016: Agile Unternehmen, 1. Auflage 2016.
https://agilerweg.de/geschichte-der-agilitaet/
Whiteley & Pollack 2021: The Origins of Agile and Iterative Methods
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